Vorbehalte, dass
orales Natriumhydrogencarbonat (Natriumbikarbonat, NaHCO3)
möglicherweise durch eine
erhöhte Natriumzufuhr
Bluthochdruck (Hypertonie)
verursacht und somit bei Hypertonikern u. a. Risiko-Patienten kontraindiziert sei, konnten durch zwei
systematische Reviews [1, 2]
ausgeräumt werden. Aktuelle Erkenntnisse zeigen sogar eine signifikante Blutdrucksenkung [
2], systolisch wie auch diastolisch. Diese antihypertensiven Effekte von Bikarbonat können
durch eine reduzierte Angiotensin-II-Aktivität der
Nieren
unter einer
oralen Alkalitherapie
entstehen [
4] und einen zusätzlichen Nierenschutz bieten.
Orales magensaftresistentes
Natriumbikarbonat
gilt als Leitlinien-gerechte Standardtherapie bei
chronisch metabolischer Azidose (cmA)
und
Chronischer Niereninsuffizienz (CKD),
um Progression und Sterberisiko (Mortalität) dieser Erkrankungen zu reduzieren. Wissenschaftlich diskutiert wurden allerdings die
erhöhte Natriumzufuhr
und der mögliche Einfluss auf den Blutdruck (RR) und auf eine
antihypertensive Medikation.
Eine aktuelle
Meta-Analyse
mit 1.853 inkludierten Patienten [2] konnte dokumentieren, dass unter
Natriumbikarbonat
die Progression einer
chronischen Niereninsuffizienz
verlangsamt und darüber hinaus eine signifikante Blutdrucksenkung erreicht wurde (systolisch: MD -2.97 mmHg; 95 % CI, -5.04 bis -0.90 (p = 0,005) und diastolisch (MD -1.26 mmHg; 95 % CI, -2.33 bis -0.19 (p = 0,02)).
Blutdruck unter Bikarbonat im Real-Life-Setting
Unterstützt werden diese Daten durch eine aktuelle
multizentrische „Real-World-Analyse“
in 18 nephrologischen und urologischen Praxen [3]. In einem „Real-Life-Setting“ wurden 156 Patienten mit einer
chronischen Azidose
(Standard-Bikarbonat: 19.4 (17.6, 24.8) mmol/l) inkludiert. 129 Patienten erhielten Natriumbikarbonat (NaHCO3-Gruppe) und 27 Zitrate (No-NaHCO3-Gruppe). Routinemäßig wurde bei allen Patienten neben Blutdruck und Körpergewicht auch das
Extrazelluläre Volumen (ECV),
als ein Parameter für die Entstehung von
Hypertonie,
untersucht. Bereits nach durchschnittlich 106 Behandlungstagen erreichten 72 % (n = 91) das primäre Therapieziel. Eine signifikante Erhöhung von RR und ECV konnte bei beiden Gruppen nicht beobachtet werden.
Blutdrucksenkung durch reduzierte Angiotensin-II-Aktivität
Eine mögliche physiologische Ursache einer RR-Senkung bei einer
Alkalibehandlung
konnte schon 2014 von Goraya et al. in einer
klinischen Studie
dokumentiert werden [4]. Die Urinausscheidung von
Angiotensinogen,
ein Prohormon von
Angiotensin II,
nahm unter Bikarbonat in dieser Studie deutlich ab und zeigte eine reduzierte Angiotensin-II-Aktivität der Nieren. Dies lässt auf eine direkte Wirkung von Bikarbonat auf das RAAS (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System) und damit die Blutdruckregulation schließen. Darüber hinaus konnte auch in dieser Studie durch eine
Bikarbonat-Gabe
ein effektiver Nierenschutz erreicht werden.
Ist Natrium in Arzneimitteln bedenkenlos?
Die WHO empfiehlt, den täglichen
Salzkonsum
der Allgemeinbevölkerung auf 5 g pro Tag zu begrenzen, was 2 g
Natrium
entspricht. Ein
systematisches Review [5]
zeigte drei potenziell synergistische Risikofaktoren für kardiovaskuläre Komplikationen nach Exposition von Natrium-haltigen Arzneimitteln: eine hohe
Natriumaufnahme
(≥ 1,5 g/Tag), eine lange
Expositionsdauer
und das Vorhandensein von Komorbiditäten wie
Bluthochdruck.
Damit kann
Natrium
in Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln nicht pauschal als bedenkenlos angesehen werden. Das iatrogene Risiko besteht, ist aber bei bekannter Bioverfügbarkeit kalkulierbar.
Bioverfügbarkeit für Risiko-Einschätzung entscheidend
So kann bei der oralen Gabe von magensaftresistenten Natriumbikarbonat-Tabletten (z .B. bicaNorm®, sodaNorm®) durch die nahezu 100 %ige Bioverfügbarkeit (z. B. bicaNorm® pro Tablette 273 mg Natrium) das Risiko gut eingeschätzt werden. Dagegen ist bei nicht magensaftresistenten
Formulierungen (Pulver, Presstabletten etc.) eine Risikoeinschätzung durch die Reaktion mit Magensaft zu Wasser, Kochsalz und Kohlendioxid und die damit unklare Bioverfügbarkeit von Natrium wie auch Bikarbonat ungenau.
Fazit: Daher sollte in der Praxis bei der pharmazeutischen Therapie einer chronischen metabolischen Azidose auf die Galenik geachtet und je nach Tagesdosis eine diätetische Natrium-Restriktion empfohlen werden.