Nierensteine, Gicht und Hyperurikämie
Demoskopische Analysen aus Deutschland (D) und England (UK) zeigen, dass das Praxis-Management einer klinisch relevanten Hyperurikämie häufig suboptimal ist. Zwar erhalten insgesamt 63 Prozent der betroffenen Patienten eine Therapie (93 % (D) und 89 % (UK) davon Allopurinol), aber nur bei 9-14 Prozent dieser Patientengruppe wird in 3,5- bis 5-jährigen Follow-up-Perioden eine Zielwert-Kontrolle durchgeführt [1] – obwohl Daten aus den USA zeigen, dass weniger als die Hälfte betroffener Patienten unter einer harnsäuresenkenden Therapie (ULT) die Zielvorgaben erreicht [2].
Eine Indikation zur Einleitung einer harnsäuresenkenden medikamentösen Therapie liegt dann vor, wenn mindestens ein gesicherter Gichtanfall aufgetreten ist, bei Tophi, Nierensteinen, Urat-Arthropathien und wenn generell Urat-Kristalle diagnostiziert werden [3]. Bislang galt die Empfehlung, mit der ULT erst nach dem vollständigen Abklingen eines akuten Gichtanfalls zu beginnen. Im Gegensatz zur gängigen Praxis konnte eine kontrollierte Studie zeigen, dass der Beginn aber auch während eines akuten Anfalles möglich ist [4].
Nephro- vs. Neuroprotektion
Hohe Serum-Harnsäure-Konzentrationen (≥ 6.8 mg/dl (408 µmol/l)) erhöhen das Risiko für chronisches Nierenversagen (CKD) [5]. Dennoch ist eine exzessive medikamentöse Senkung zu vermeiden, da Harnsäure mit der Intelligenz korreliert [6], ein neuroprotektiver Faktor für Dopamin-Neuronen ist und das Risiko für Morbus Parkinson [7] u.a. neurodegenerative Erkrankungen senken kann [3]. Im Praxis-Management der ULT ist daher ein regelmäßiges Follow-up mit Zielwert-Kontrolle unerlässlich, um die nicht immer einfache Gratwanderung, Nephroprotektion auf der einen Seite und Neuroprotektion auf der anderen, zu bewältigen.
Darüber hinaus ist unklar, ob die Gabe von Allopurinol die Nieren schützen kann. So dokumentiert eine Metaanalyse [8], eine „substantielle Heterogenität“ bezüglich einer nephroprotektiven Wirkung von Allopurinol: Fünf Studien zeigten keinen Effekt auf die glomeruläre Filtrationsrate (GFR), während bei drei klinischen Studien die Zunahme der Kreatinin-Konzentrationen verlangsamt werden konnte.
Harnsäure-senkende Medikamente kritisch betrachten
Die Hinweise, dass bestimmten Subpopulationen unter einer medikamentösen Harnsäure-senkenden Therapie (ULT) geschadet wird, führte zu der Empfehlung, eine asymptomatische Hyperurikämie – auch bei begleitender Nierenschwäche – zunächst nicht mit harnsäuresenkenden Medikamenten zu behandeln. Zur Sicherheit sollte bei diesen Patienten alle sechs Monate Kreatinin als Nierenfunktionswert kontrolliert werden. Treten allerdings Urat-Kristalle im Urin-Sediment auf oder werden auffällige Alterationen im muskulo-skelettalen Ultraschall beobachtet, ändert sich die therapeutische Situation und eine ULT sollte rasch eingeleitet werden, um u.a. Nierenschäden zu vermeiden [6].
Bikarbonat schließt therapeutische Lücke
Aus praktischer Sicht liegt mit magensaftresistentem [9] Natriumbikarbonat eine medikamentöse Option vor, die diese therapeutische Lücke schließen kann. Neben einer sicheren Nephroprotektion [10] wirkt Natriumbikarbonat direkt auf die Urat-Kristall-Bildung [11] und könnte als vorgeschobene Monotherapie eine ULT vermeiden oder hinauszögern. Durch eine Urin-Alkalisierung auf pH 8 können bereits vorhandene Urat-Kristalle aufgelöst und eine weitere Bildung in den Nierentubuli gehemmt werden. Eine Urin-Alkalisierung wird mit 325-2.000 mg Natriumbikarbonat per os, 1-4x/d, erreicht [6].
Fazit: Harnsäuresenkende Medikamente sollten für Hoch-Risiko-Patienten reserviert bleiben. Ein unkritischer und unkontrollierter Einsatz könnte neuroprotektive Faktoren reduzieren und entfernt die Harnsäure-Messung als Marker für eine chronische Niereninsuffizienz aus dem diagnostischen Repertoire. Um bei Hyperurikämie Urat-Kristall-Ausfällungen und Nierenschäden zu vermeiden, ist sowohl eine Monotherapie wie auch eine zur ULT adjuvante Urin-Alkalisierung mit oralem Natriumbikarbonat therapeutisch sinnvoll.