Azidose-Experte
EXPERTEN
05.03.2024

Experten-Interview zur chronischen Azidose

Experten-Interview
Dr. med. Herbert Stradtmann
Interview zur chronischen Übersäuerung

Am Anfang steht die Nahrungsumstellung

mit Dr. med. Dr. Public Health Herbert Stradtmann
Nephrologe, Bad Wildungen.

Interview zur chronischen Übersäuerung

Am Anfang steht die Nahrungsumstellung

mit Dr. med. Dr. Public Health Herbert Stradtmann
Nephrologe, Bad Wildungen.

Frage: Bei der heutigen Lebens- und Ernährungsweise entsteht im Körper schnell ein Säureüberschuss, den der Körper oft nicht richtig abbauen beziehungsweise ausscheiden kann. Was sind die größten Fehler in unserer Ernährung?

Antwort: Gegenwärtiger Lebensstil und Ernährung sind hauptverantwortlich. Grob gesagt: Bewegungsfaulheit, zu viel, zu fettes, zu eiweißreiches, zu süßes Essen sind die Kardinalfehler. Die vermehrte Säureaufnahme erfolgt durch die Ernährungsweise; die verminderte Basenaufnahme ebenfalls. Bewegungsfaulheit und zu geringe Flüssigkeitszufuhr führen zu verminderter Säureausscheidung. Allerdings erhöhen falsches Training und Extrembelastungen auch die Säurebelastung. Letzteres betrifft jedoch nur eine kleine Gruppe Menschen.

Frage: Was sollten wir essen, um einer chronischen Übersäuerung vorzubeugen?

Antwort: Etwa vier Fünftel Basen bildende und neutrale, ein Fünftel Säure bildende Lebensmittel. Eine Übersicht ist der Tabelle im Abschnitt 5.2 zu entnehmen. Ausführlichere Zusammenstellungen gibt es preiswert im Buchhandel und in Apotheken. Zu empfehlen sind Früchte, Gemüse, Kartoffeln, nur sonntags Fleisch; Wurst. Milch und Käse nicht im Übermaß. Fisch ist ein wertvoller Eiweißspender. Gerichte mit Kartoffeln und Ei ergeben eine ideale Eiweißmischung. Wichtig sind Abwechslung und Vielfalt. Fastfood und Fertigprodukte auf das mögliche Mindestmaß reduzieren. Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten und hochprozentigen Alkohol meiden.

Frage: Wieso machen saure Lebensmittel wie Obst, Säfte, Sauerkraut den Körper nicht sauer?

Antwort: Zitrone wirkt eher basisch. Deren chemisch schwache Fruchtsäure reizt auf unserer Zunge jene Geschmacksnerven, welche die Geschmacksqualität 'sauer' signalisieren. Die Säuren im Organismus jedoch resultieren aus der Verstoffwechslung unsere Nahrungsmittel. Aus Kohlenhydraten wie Zucker und aus Fetten entstehen Ketosäuren. Von schwefelhaltigen Aminosäuren im Eiweiß bleiben Schwefelsäureabkömmlinge übrig. Aus Phosphaten, auch in Eiweiß und Cola enthalten, werden Endprodukte mit Phosphorsäure. Das sind die Säurelieferanten!

Frage: Nun erscheint es gar nicht so einfach, über den guten Vorsatz hinaus die Ernährung wirklich umzustellen. Wie sollte man an eine Ernährungsumstellung heran gehen, ohne gleich als genussfeindlich zu gelten?

Antwort: Gesundheit betrachten gesunde Menschen (Männer besonders) als normal und pflegen sie daher nicht oder kaum. Motivation zur Ernährungsumstellung ist der Leidensdruck. Dieser entsteht erst, wenn Krankheiten bereits ausgebrochen sind. In unserer körperlich inaktiven Gesellschaft ist es wichtig, die Gewohnheiten allmählich umzustellen um eine angepasste, zeitgerechte und zeitgemäße Ernährung zu erreichen. Wichtig sind Balance und Bilanz zwischen Säure- und Basenbildnern. Das Säure bildende Familienessfest oder Sonntagessen kann man ja in den nächsten Tagen ausgleichen. Bezüglich der Energie essen wir täglich wie früher sonntags und das oft in Fastfood Form. Dabei überstrapazieren wir unseren Körper mit Säure bildenden Stoffen. Unsere tägliche Kalorienbilanz sieht zudem so aus, als müssten wir ständig als Schnitter mit der Sense in den Händen ein endloses Getreidefeld mähen. Omas Kochrezepte stammen noch aus dieser Zeit. Das gilt es auch zu bedenken. Unsere Altvorderen keuchten und schwitzten öfter und intensiver. So schieden sie auch mehr saure Stoffe aus als wir heutzutage. Wir hingegen können uns ohne weiteres ganzjährig einen Obstsalat mit reichlich Bananen leisten; alle möglichen Basen bildenden Gemüse stehen uns täglich zur Verfügung. Wir haben nur verlernt richtig zu genießen, weil wir im Überangebot leben. Eine Original Kartoffel schmeckt hervorragend! Ist das Verzicht auf Genuss?

Frage: Die chronische Übersäuerung ist für echte Krankheitsbilder wie Gicht, Rheuma oder Fibromyalgie mit verantwortlich. Bedeutet 'Einmal krank – immer krank' oder können bereits vorhandene Krankheiten und Schmerzzustände durch eine Ernährungsumstellung behoben oder gelindert werden?

Antwort: Eine Linderung ist auf jeden Fall zu erzielen. Die Reduktion der Säurelieferanten in Verbindung mit mehr Bewegung haben sogar mehrere Effekte. Der Körper wird leichter, die Beweglichkeit bessert sich. In Verbindung mit mehr aktiver Bewegung erfolgt eine bessere Durchblutung der Gewebe. Das hat eine günstigere Nährstoffversorgung auch solcher Strukturen wie Bindegewebe und Knorpel zur Folge. Daraus folgt wieder mehr Freude an Bewegung, mehr Säuren gelangen über Schweiß zur Ausscheidung. Daraus kann ein die Heilung fördernder Kreislauf entstehen, Schmerzzustände können sich zurück bilden. Ideale Bewegungssportarten sind 'Nordic Walking', Radfahren, Schwimmen.

Frage: Kann eine Ernährungsumstellung starke Schmerzmittel, die beispielsweise bei Rheuma oder Arthrose eingenommen werden, überflüssig machen? Haben Sie Erfahrungswerte aus Ihrer ärztlichen Tätigkeit?

Antwort: Vorbeugen ist das Beste. Früh erkennen und früh behandeln sind immer noch gut. Es kommt auf eine gute Patient-Arzt-Beziehung an. Selbstkuren können bei ausgebrochenen Krankheitsbildern eher Schaden stiften. Eine Ernährungsumstellung lohnt aber noch, denn sonst bleibt ja der Krankheit unterhaltende Faktor weiter bestehen. Die Hoffnung, Schmerzmittel völlig weg lassen zu können, richtet sich nach dem Schadensausmaß an Knochen, Knorpel, Gelenken, Sehnen, Muskeln und Bindegewebe. Die Erfahrungen zeigen, dass jede Linderung der Schmerzen, durch welche Maßnahme auch immer, eine Reduktion des Schmerzmittelbedarfs mit sich bringt. Bereits das ist ein Erfolg. Eine richtige Schmerzbehandlung ist übrigens eine sehr differenzierte Therapie.

Frage: Warum messen Sie dem Magensaft-resistentem Überzug und der Dünndarmlöslichkeit von Tabletten mit Natriumhydrogenkarbonat eine so große Bedeutung zu?

Antwort: Der Körper kann erst über den Dünndarm Natriumhydrogenkarbonat als Substanz aufnehmen. Dazu muss es vorher den Magen passieren. Dort aber wirkt bereits die Salzsäure auf 'ungeschütztes' Natriumhydrogenkarbonat ein, ganz gleich, ob als Pulver oder zur Tablette gepresst eingenommen. Eine gegen den Magensaft unempfindliche Schicht muss das Natriumhydrogenkarbonat schützen, sonst entstehen im Magen daraus Kochsalz und Kohlendioxid. Im Dünndarm hingegen muss sich dieser Schutzüberschutz auflösen und das Natriumhydrogenkarbonat frei geben. Nun kann dieses über den Darm direkt in das Blut gelangen, wo es die erschöpften Pufferreserven gezielt ergänzt. Darauf weisen die zu Fragen des Säure-Basen-Haushaltes kursierenden Schriften meines Erachtens gar nicht oder zu wenig hin.

Frage: Welche Dosis ist zu empfehlen?

Antwort: Die Einnahme ohne vorherige Orientierung über den eigenen Säure-Basen-Status unter Einbeziehung der persönlichen Ernährungsgewohnheiten macht wenig Sinn. Eine Dauermedikation ist ohne ärztliche Beratung und klare Labordiagnostik ebenso fehl am Platze. Die pH-Wert Bestimmung im Urin sollte erst einmal der Anfang sein, bevor eine entsäuernde Therapie eingeleitet wird.

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